Inspiration: Nicht-Orte

Nicht-Orte

Der Begriff Nicht-Ort (frz. non-lieu, engl. non-place) bezeichnet ein Gedankengebäude des französischen Anthropologen Marc Augé. Nicht-Orte sind insbesondere mono-funktional genutzte Flächen im urbanen und suburbanen Raum wie Einkaufszentren (Shopping Malls), Autobahnen, Bahnhöfe und Flughäfen. Der Unterschied zum traditionellen, insbesondere anthropologischen Ort besteht im Fehlen von Geschichte, Relation und Identität, sowie in einer kommunikativen Verwahrlosung. https://de.wikipedia.org/wiki/Nicht-Ort

Laut Augé: «Die Supermoderne produziert Nicht-Orte, d.h. Räume, die nicht selbst anthropologische Räume sind und sich nicht in frühere Orte integrieren (….) Eine Welt, in der Menschen im Krankenhaus geboren werden und im Altersheim sterben, in der sich Transitpunkte und vorübergehende Aufenthaltsorte unter luxuriösen oder unmenschlichen Bedingungen vermehren (Hotelketten und Kneipen (Irish Pubs), Ferienclubs und Flüchtlingslager, (….); wo sich ein dichtes Netz von Verkehrsmitteln entwickelt, die auch bewohnte Räume sind; wo das Gewohnte wortlos durch Gesten mit abstrakten Handlungsanweisungen ersetzt wird (z.B. Kreditkartentransaktionen); eine Welt also umgeben von einsamer Individualität».

Augé, Marc. Nicht-Orte. CH Beck, 2010.

Die unsichtbaren Städte

Trude
Hätte ich bei der Landung in Trude nicht mit großen Buchstaben den Namen der Stadt gelesen, ich hätte geglaubt, auf demselben Flughafen angekommen zu sein, von dem ich abgeflogen war.
Die Vororte, durch die sie mich fahren ließen, waren nicht anders als die anderen, die gleichen gelblichen und grünen Häuser. Den gleichen Hinweisschildern folgend, umfuhr man die gleichen Anlagen der gleichen Plätze. Die Straßen im Zentrum stellten Waren, Verpackungen, Schilder zur Schau, die in nichts anderes waren. Es war das erste Mal, dass ich nach Trude kam, aber schon kannte ich das Hotel, in das ich geriet; meine Gespräche mit Käufern und Verkäufern von Schrott hatte ich bereits gehört und gesagt; schon andere, ganz gleiche Tage waren mit dem Blick durch die gleichen Trinkgläser auf die gleichen wabbelnden Bäuche zu Ende gegangen. Warum überhaupt nach Trude kommen? fragte ich mich. Und wollte wieder abreisen. «Du kannst abfliegen, wann du willst», wurde mir gesagt, «aber du wirst zu einem anderen Trude kommen, das Punkt für Punkt gleich ist, die Welt ist überdeckt von einem einzigen Trude, das nicht anfängt und nicht aufhört, nur am Flughafen den Namen wechselt.»

Calvino, Italo, and Burkhart Kroeber. Die unsichtbaren Städte. Hanser, 2007.

Kultur und Identität

Ansätze zu einer Poetik der Vielheit
Die Vermischung bzw. Kreolisierung der Kulturen, der Sprachen und Religionen, wie Glissant sie zuerst in der Karibik untersuchte, lässt sich mittlerweile überall auf der Welt beobachten.

Édouard Glissant hat das Aufeinandertreffen unterschiedlicher Kulturen stets als positiv betrachtet und daraus eine »Poetik der Vielheit« entwickelt, die uns ermöglicht, den Prozeß der Globalisierung auch als kulturelles Phänomen zu begreifen. In vier Essays skizziert er die Argumentation seiner Kulturphilosophie. Den Prozeß der »Globalisierung« der Welt hat der Romancier, Poet und Kulturphilosoph Édouard Glissant frühzeitig als kulturelle Tendenz ausgemacht und beschrieben. Er fand ihn als kreative Kraft im Zusammenleben der verschiedenen Kulturen seiner Heimat Martinique. Glissant konnte mit seiner »Poetik der Vielheit« die fragmentarische Theorie der weltweiten Beziehung entwerfen, die uns das philosophische Werkzeug liefert, um die Globaliserung als kulturelles Phänomen zu begreifen. Eine Poetik, die die Grenzen des Ästhetischen hinter sich lässt und sich aus ethnologischen, psychologischen und soziologischen Erkenntnissen speist.

Glissant, Édouard, Introduction à une poétique du divers. Gallimard, Paris, 1996.
Kultur und Identität. Ansätze zu einer Poetik der Vielheit. Übers. Beate Thill. Wunderhorn, Heidelberg 2005

Ich behaupte also, daß die Welt sich kreolisiert. Schlagartig und dabei in vollem Bewusstsein, werden die Kulturen der Welt miteinander in Kontakt gebracht, verändern sich in ihrem Austausch, was häufig zu abwendbaren Zusammenstößen, erbarmungslosen Kriegen führt […] Kreolisierung bedeutet, daß die in Kontakt gebrachten kulturellen Elemente unbedingt als ›gleichrangig‹ gelten müssen, sonst kann die Kreolisierung nicht wirklich stattfinden […] Die Kreolisierung verlangt die wechselseitige Wertschätzung der heterogenen Elemente, die zueinander in Beziehung gesetzt werden, das heißt, daß in Austausch und Mischung das Sein weder von innen noch von außen herabgesetzt oder missachtet wird. Warum spreche ich von Kreolisierung und nicht von Vermischung? Weil die Kreolisierung unvorhersehbar ist, während man das Ergebnis einer Mischung absehen könnte

Glissant zitiert nach Müller/Ueckmann 2013: 9, vgl. auch Djoufack 2010: 121

Von Glissants Überzeugung und Theorie, die ganze Welt werde kreolisiert, zeugt auch sein deterritorialisierter Begriff Tout-monde:

Mit dem deterritorialisierten Begriff des Tout-monde soll ein kultureller Essentialismus, der eine Afrikanisierung Afrikas, eine Karibisierung bzw. Kreolität der Karibik oder eine Orientalisierung des Orients befördert hatte, zugunsten einer Hybridisierung von Kulturen aufgegeben werden

Müller/Ueckmann 2013: 25

Glissants erörtert mit großer Einsicht die meines Erachtens wichtigsten Themen der Globalisierung: Homogenisierung und Aussterben. Seine Theorie der «Kreolisierung der Welt» bezieht sich auf Fragen der nationalen Identität angesichts der kolonialen Vergangenheit, die seine Identität auf den Antillen prägt. Er wirft die dringende Frage auf, wie wir der drohenden kulturellen Homogenisierung am besten entkommen und wie wir die positive Kraft der Kreolisierung – die Pluralität der Kulturen – unter den Bedingungen eines ständigen globalen Austauschs aufrechterhalten können

Die Monotonisierung der Welt

Stärkster geistiger Eindruck von jeder Reise in den letzten Jahren, trotz aller einzelnen Beglückung: ein leises Grauen vor der Monotonisierung der Welt. Alles wird gleichförmiger in den äußeren Lebensformen, alles nivelliert sich auf ein einheitliches kulturelles Schema. Die individuellen Gebräuche der Völker schleifen sich ab, die Trachten werden uniform, die Sitten internationaler. Immer mehr scheinen die Länder gleichsam ineinandergeschoben, die Menschen nach einem Schema tätig und lebendig, immer mehr die Städte einander äußerlich ähnlich. Paris ist zu drei Vierteln amerikanisiert, Wien verbudapestet: immer mehr verdunstet das feine Aroma des Besonderen in den Kulturen, immer rascher blättern die Farben ab, und unter der zersprungenen Firnisschicht wird der stahlfarbene Kolben des mechanischen Betriebes, die moderne Weltmaschine, sichtbar.


Zweig, Stefan, Die Monotonisierung der Welt. S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main, 1928.
Stefan Zweig wurde am 28. November 1881 in Wien geboren. Der Schrift­steller („Schachnovelle“, „Sternstunden der Menschheit“) emigrierte 1934 nach London, nachdem auch seine Werke 1933 von den Nationalsozialisten verbrannt wurden. 1942 nahm er sich in Brasilien mit seiner Frau Lotte das Leben.

 

Global Cities

«100 Mile City» ist ein Buch von Deyan Sudjic ist eine kritische Auseinandersetzung mit den Herausforderungen, denen Städte im 21. Jahrhundert gegenüberstehen. Das Buch erforscht das Konzept einer nachhaltigen Stadtentwicklung, die sich auf lokale Ressourcen und Selbstversorgung konzentriert, und stellt die Idee vor, dass Städte in der Lage sein sollten, sich selbst im Umkreis von 100 Meilen (ca. 160 Kilometer) mit Nahrung und anderen lebenswichtigen Ressourcen zu versorgen. Sudjic betont die Notwendigkeit, den globalen ökologischen Fußabdruck der Städte zu reduzieren und auf ressourceneffiziente, umweltfreundliche und sozial gerechte Städte hinzuarbeiten. Dabei werden zahlreiche Beispiele aus der ganzen Welt untersucht, um die Ideen des Buches zu illustrieren und die Leser dazu anzuregen, über die Zukunft der urbanen Lebensweise nachzudenken.

Die Einbindung von Städten in eine neue grenzüberschreitende Geografie der Zentralität signalisiert auch die Entstehung einer parallelen politischen Geografie. Grossstädte haben sich zu einem strategischen Standort nicht nur für das globale Kapital, sondern auch für die Transnationalisierung der Arbeit und die Bildung translokaler Gemeinschaften und Identitäten entwickelt.