Annette Schindler, [plug.in] Kunst und neue Medien, Basel, 11.11.03
Die BenutzerInnen wählen ein Stichwort, zu dem sie innert Sekunden topaktuelle, massgeschneiderte News-Berichte erhalten. In popigem aber vertrauenswürdigem Design, mit der bewährten Interaktionsstruktur bekannter Nachrichtenagenturen gliedern sich die Nachrichtenbeiträge in Schlagzeilen, Leads und Inhaltstexten, audiovisuellem Material und Links zu themenverwandten News.
Loogie.net bedient sich der gängigen Suchmaschinen, um Texte, Bilder und Videos zum gewünschten Thema zu suchen. Die gefundenen Inhalte werden in einer Datenbank gespeichert, von einem Textklassifizierungssystem analysiert und nach Wichtigkeiten klassifiziert. Themenverwandte Begriffe werden vom Programm festgelegt und nur die vom Computeralgorithmus als relevant bezeichneten Daten werden verwendet und vollautomatisch zu einer Newsseite zusammengesetzt. Die Loogie.net Nachrichten werden demnach nicht von Menschen gemacht, sondern vom ‚Computergenerierten-Reportern’ resp. von einer intelligenten Software. Sie unterliegen also nicht der Selektion von Parteimeinungen oder Machtinteressen sondern jener der Maschine, die gespiesen wird vom demokratischeren, aber auch beliebigen Informationspools des Internets. Indem der Künstler alle Definitionsmacht an die Maschine zurück delegiert, wirft er auch einen ambivalenten, auch kritischen Blick auf die ungebremst scheinende Technologie-Gläubigkeit unserer Gesellschaft.
Die Benutzer können sich ihre personalisierten News von online-Nachrichtensprechern vorlesen lassen, können die ganze Story ausdrucken, sie per Email weiter versenden oder dem ‚Reporter‘ ein Feedback auf sein Text in Form von Bewertung und Kommentaren zukommen zu lassen. Schliesslich können sie durch Textersetzungen direkt in die Inhalte eingreifen: Für einen generell positiveren Grundtenor könnte man etwa „schlecht“ mit „nicht sehr gut“ ersetzen, oder man könnte weitergehen und „George W. Bush“ etwa durch „Britney Spears“ ersetzen und die Pop-Ikone an die Weltmacht bringen.
Seine Claims („Loogie.net is the most trusted organisation in the world.“ „We Report – You Decide!“ „When News breaks – Loogie.net is there.“) leiten sich ebenso nach dem copy-paste Prinzip her wie die Belegschaft – ein Heer von Redaktoren und Reportern, Vorgesetzten und Untergeben aus allen Herren Ländern mit Name und Portait: Auch hier hält der Künstler dem Selbstdarstellungswillen und hierarchischen Gefüge der Medien den Spiegel vor – aber auch all jenen, welche solche Mechanismen unhinterfragt akzeptieren.
Der wohl subversivste Teil der Arbeit ist jedoch die Art und Weise, wie sie sich der Funktionsweisen des Internets bedient und sich diese zunutze macht: Alle Newsnachrichten werden verlinkt und archiviert. Dieses rasant wachsende Archiv wird fortwährend von Suchmaschinen indexiert. Da täglich sehr viel neue Seiten dazukommen, steigt somit die Wichtigkeit der Loogie.net News Webseiten bei Suchmaschinen. Dies hat ein höheres Ranking zur Folge und die Wahrscheinlichkeit, dass man beim Surfen via Suchmaschine nicht bei bekannten Online-Nachrichtenunternehmen landet, sondern auf generierten Loogie.net News Seiten steigt stetig. Die so gefundenen Seiten können Verwirrung stiften, denn die Fehlinformationen, die sie enthalten, geben sich im Gegensatz zu denjenigen der ‚Grossen‘ zu erkennen, und entlarven letztere damit auch.
Lügen haben kurze Beine – und schnelle Datenkanäle. Das Basler [plug.in] präsentiert stolz die wohl derzeit fintenreichste Internetarbeit der Schweiz.
Von Annina Zimmermann, Regioartline, Oktober 2003
Die Einladungen an internationale Festivals wie ars electronica oder die kommende Basler Viper beweisen, welch’ lange erwartetes Produkt Marc Lee lanciert: Loogie.net ist ein News-Kanal, der uns custom made, auf Mass geschneiderte Nachrichten nach Hause liefert. Wir hocken im Fernsehsessel und glauben uns vor einem amerikanischen Sender: Gut geföhnte Moderatoren rühmen die Vorteile von loogie.net, leiten über zu einem Bildbeitrag, schalten per Telefonverbindung einen auswärtigen Korrespondenten zu oder führen Interviews mit Experten. Eine an sich gewohnte Situation, bis auf einem bedeutenden Unterschied: Wir selbst bestimmen nämlich die Neuigkeit des Tages. Flink haben wir auf der Fernsteuerung die Stichworte eingetippt, über die wir etwas zu erfahren wünschten.
Informationen auf Kommando Bilder und Texte der Nachrichtensendung werden in Echtzeit auf den Internet gesucht und von der eigens programmierten Software nahtlos zusammengefügt. Diese wählt selbsttätig die Textinhalte und passt Bilder, Videos und Interviews in die dafür vorgesehenen Fenster so ein, dass sie stets in dem Stil von CNN entsprechen. Formal wirkt alles Vertrauen erweckend professionell – der Gehalt der Infos aber ist unberechenbar: Mitunter verlässlich und kohärent, oft willkürlich oder gar dadaistisch einer uneinsichtigen Logik folgend mischen sich die im Worldwideweb aufgespürten Daten. Wie unterscheidet dieses Vorgehen den News-Automaten von der Recherche der Journalisten? Verfügen nicht auch diese über ideologische und subjektive “Filter”, die einer Programmierung durchaus vergleichbar sind?
Loogie.net ist überraschend leistungsstark und verwirklicht im Ansatz ein wünschbares Modell: dass wir selbst für unsere Information verantwortlich zeichnen, dass wir souverän entscheiden über Auswahl, Ausmass und Zeitpunkt unserer Wissensaneignung statt von Fernsehanstalten faul gefüttert zu werden. Umgekehrt karikiert aber loogie.net auch unseren Medienkonsum, indem es unser Vertrauen unterwandert. Zudem macht es deutlich, dass wir letztlich nur erfahren können, was aufzunehmen wir auch bereit sind. Und wir werden diese Informationen – bewusst oder unbewusst – auch weiter verarbeiten und manipulieren. Interaktivität als boshaftes Spiel Neu hat Loogie.net wie jeder anständige News-Kanal auch ein Portal auf dem Internet eingerichtet. Hier lässt sich ein Artikel nicht nur auf Wunsch zusammenstellen, man kann sich auch den Spass erlauben, ihn mit eigenem Input zu infiltrieren. So lassen sich in Artikeln Wörter ersetzen: Ob sie ihren Lieblingssänger an Mutter Theresas Statt selig sprechen lassen oder gar sich selbst anerbieten, als Unterhändler Palästinas zu wirken, steht ihnen frei. Der Text lässt sich nicht nur vorlesen und verschicken – er wird auch gespeichert bleiben, von Google z.B. aufgespürt und bei andern Usern so Verwirrung stiften. Diese werden das trendige Logo “loogie.net” womöglich mit dem Wort Einloggen deuten und wohl kaum in Schweizer Mundart, als “Lügennetz”, aussprechen.
Lügen bedienen sich heutzutage schneller Datenkanäle – und Marc Lee nutzt die leistungsstarken, aber eben auch fraglosen Suchdienste als effizienten Vertrieb für eine subversive Netzkunst, die sich hinter unverdächtiger, weil geliehener Oberfläche tarnt.