Arrival

Generative Medieninstallation

Arrival nutzt Google Earth zu einem synchronen Anflug auf die Bibliothek aus 16 Richtungen bezogen auf die Ausrichtung der 16 Bildschirme der Galerie b. Die Stuttgarter Stadtbibliothek wird hier also zum Mittelpunkt der Welt, zu der – wie sprichwörtlich nach Rom – nun alle Wege führen.
Natürlich klingt bei dieser Arbeit – und das verdoppelt das Detournement – auch Duchamps Readymade an, indem Marc Lee einfach ein vorgefundenes Konzernprodukt zur Kunst umwidmet.

Synchrone Anflüge auf die Bibliothek aus 16 Richtungen mittels Google Earth.
Flug-Entfernung: 111 km (Abstand zwischen zwei Breitengraden), Flug-Dauer 6 Minuten, Flug-Höhe 200 Meter über Boden.

Und der Bezug zu Duchamp lässt sich noch weiter treiben. Duchamps Redymades waren ein Versuch aus dem Kunstbegriff auszusteigen. Er wolle, wie er sagte “Werke schaffen, die keine Kunstwerke mehr sind”.
Noch weiter radikalisiert wird Duchamps Position in einer Legende, wie und warum er das Kunstmachen 1912 aufgegeben habe. Marcel Duchamp, so die Geschichte, hätte sich 1912 schweigend eine Flugzeugausstellung augeschaut, um dann am Ende zu sagen: “Die Kunst ist zu Ende. Wer kann etwas besseres machen als diese Propeller?” Um von da an nur noch Schach zu spielen. So die Legende.

Marc Lee verhält sich hier zupackender und lässt sich nicht von technischem Gerät ins Boxhorn jagen. Nein, er geht beherzt auf den Propeller zu, wirft ihn an, steigt in das Flugzeug ein und zwingt im seine Richtung auf. Ein Anflug direkt auf den Ort seiner Ausstellung…
Text: Johannes Auer

Beispiel Screen Capture von Westen nach Osten (von Strasbourg nach Stuttgart)

Einführung: Johannes Auer
Ausstellungseröffnung Galerie b, 05.10.2012
Marc Lee:
3 Arbeiten: Anflug – Schlagzeilen – Orte

Sehr geehrte Damen und Herren,

ich begrüße Sie ganz herzlich zu der Ausstellung 3 Arbeiten: Anflug -Schlagzeilen
-Orte von Marc Lee, den ich ebenfalls ganz herzlich hier willkommen heiße.

Diese zweite große Netzkunst-Ausstellung in der Galerie b ist, wie der Titel schon verheißt, 3 Arbeiten von Marc Lee gewidmet. Marc ist einer der wichtigsten und international bekanntesten Netzkünstler aus der Schweiz. Seine Arbeiten wurden und werden weltweit bei großen Medienkunstausstellungen gezeigt. Und wir freuen uns sehr, dass es gelungen ist, ihn für eine Ausstellung hier in der Galerie b zu gewinnen.
Marc Lee experimentiert mit Informations-und Kommunikationstechnologien und audiovisualisiert Datenströme des Internets. Dabei gelingt ihm, und das zeichnet seine Kunst ganz besonders aus, eine perfekte Balance zwischen Schauwert und konzeptioneller Klarheit.

Diese Balance zu finden ist eines der großen Probleme und eine der großen Herausforderungen der Netzkunst. Dem Medientheoretiker Friedrich Kittler wird das mittlerweile geflügelte Wort zugeschrieben, “die Hacker sind heutzutage die eigentlichen Künstler”. Wirklich gesagt hat er folgendes: “Kunst (wird) unter Computerbedingungen abgelöst von einer Zauberei, die nicht mehr Allmacht beschwört, sondern Realität” (…).
“Von dieser Macht über das Reelle sind Künstler, wenn sie nicht selber zu Ingenieuren oder Programmieren werden, schlichtweg ausgeschlossen.”
Und er bezieht sich damit auf eine Realität, die nur noch vom Computer berechnet werden kann, wie beispielsweise Geschossbahnen und Atomexplosionen. Nimmt man das Ganze eine Nummer kleiner, so kann man mit Kittler durchaus konstatieren, dass unsere digitale Nutzungsgewohnheiten – also beispielsweise unser tagtäglicher Umgang mit den sogenannten sozialen Netzwerken und dem Web 2.0 – dass diese digitalen Gewohnheiten erstens durchaus eine Wirklichkeit erzeugen, und zweitens, dass diese digitale Realität, das liegt in der Natur der Sache, eine von Computern berechnete, eine von Konzern eigenen Algorithmen geschaffene Umwelt ist. Ist nun der Künstler, mit Kittler gesprochen, tatsächlich in der Zwangslage, um überhaupt noch eine Gestaltungsmacht über dieses Reelle, diese digitale Wirklichkeit zu behalten, ist der Künstler gehalten mit den Konzernprogrammierern von Facebook, Google und Co. in Konkurrenz zu treten? Mit Verlaub, Kittlers Ansatz, obwohl oft und gerne zitiert, führt meines Erachtens sehr ins Eindimensionale, führt uns auf einen mächtigen digitalen Holzweg.
Die Kunst hat ja seit der Kunstrevolution am Anfang des letzten Jahrhunderts ein ausgefeiltes Instrumentarium entwickelt, um gerade der Überwältigung durch spektakuläre Darstellungsmacht zu entgehen, ja sie durch Aneignung und Umwidmung gerade für die eigenen Zwecke zu nutzen. Die bekanntesten Beispiele dafür sind die Readymades von Marcel Duchamp, der einfach industrielle Fertigprodukte zur Kunst erklärte und das Detournement der Situationisten. Das Detournement: die Zweckentfremdung von Vorgefundenem durch anderen Gebrauch. Beispielsweise die Zweckentfremdung von Werbung und Comicbildern durch neuen Text, die Zweckentfremdung von Filmsequenzen durch neuen Schnitt.

Das Detournement, die Zweckentfremdung von Vorgefundenem damit also als künstlerisches Wiederaneignungsprinzip.
Nicht verwunderlich, dass das Detournement in der Netzkunst eine große Renaissance erlebt hat. Die Medientheoretikerin und Ausstellungsmacherin Inke Arns spricht sogar von einem Detournement sozialer Technologie, einer Wiederaneignung des Mediums Internet durch die künstlerische Zweckentfremdung!

Und ein solches Detournement eine solche grandiose Zweckentfremdung erleben wir bei Marc Lees “Anflug”. Diese Arbeit nutzt Google Earth zu einem synchronen Anflug auf die Bibliothek aus 16 Richtungen bezogen auf die Ausrichtung der 16 Bildschirme der Galerie b. Die Stuttgarter Stadtbibliothek wird hier also zum Mittelpunkt der Welt, zu der -wie sprichwörtlich nach Rom – nun alle Wege führen. Natürlich klingt bei dieser Arbeit -und das verdoppelt das Detournement -auch Duchamps Readymade an, indem Marc Lee einfach ein vorgefundenes Konzernprodukt zur Kunst umwidmet. Und der Bezug zu Duchamp lässt sich noch weiter treiben. Duchamps Redymades waren ein Versuch aus dem Kunstbegriff auszusteigen. Er wolle, wie er sagte “Werke schaffen, die keine Kunstwerke mehr sind”. Noch weiter radikalisiert wird Duchamps Position in einer Legende, wie und warum er das Kunstmachen 1912 aufgegeben habe. Marcel Duchamp, so die Geschichte, hätte sich 1912 schweigend eine Flugzeugausstellung augeschaut, um dann am Ende zu sagen: “Die Kunst ist zu Ende. Wer kann etwas besseres machen als diese Propeller?” Um von da an nur noch Schach zu spielen. So die Legende. Marc Lee verhält sich hier zupackender und lässt sich nicht von technischem Gerät ins Boxhorn jagen. Nein, er geht beherzt auf den Propeller zu, wirft ihn an, steigt in das Flugzeug ein und zwingt im seine Richtung auf. Ein Anflug direkt auf den Ort seiner Ausstellung. Abschließend sei zu dieser Arbeit bemerkt, dass sie sich auf Raum bezieht also dreidimensional ist.

Die zweite Arbeit, die wir in dieser Ausstellung zu sehen bekommen, ist mit “Schlagzeilen” betitelt. An dieser Stelle sei kurz bemerkt, dass die 3 Arbeiten der Ausstellung sich täglich abwechseln werden. Heute Abend werden Sie aber natürlich die Gelegenheit haben, alle 3 Arbeiten von Marc Lee zu sehen. “Schlagzeilen” generiert an Hand eines Stichwortes, das sie als Publikum auch jederzeit selbst setzten können, “Schlagzeilen” generiert einen virtuellen Schlagzeilenteppich. Dazu werden in Echtzeit anhand des vorgegebenen Stichwortes News-Aggregatoren im Web abgefragt und die vorgefundenen Headlines in digitalem Cut-up Verfahren zu einer Schlagzeilencollage auf dem Screen montiert.

Tristan Tzara schlägt 1920 eine Methode vor, um ein dadaistisches Gedicht zu machen:

Nehmt eine Zeitung.
Nehmt Scheren.
Wählt in dieser Zeitung einen Artikel von der Länge aus, die Ihr Eurem Gedicht zu geben beabsichtigt.
Schneidet den Artikel aus.
Schneidet dann sorgfältig jedes Wort dieses Artikels aus und gebt sie in eine Tüte.
Schüttelt leicht.
Nehmt dann einen Schnipsel nach dem anderen heraus. Schreibt sie gewissenhaft ab in der Reihenfolge, in der sie aus der Tüte gekommen sind.
Das Gedicht wird Euch ähneln.
Und damit seid Ihr ein unendlich origineller Schriftsteller mit einer charmanten, wenn auch von den Leuten unverstandenen Sensibilität.

Diese ironisch eingeführte dadaistische Methode entwickelt William Burroughs
Anfang der 1960er weiter zu seiner sehr ernst gemeinten Cut-up Technik.
Burroughs sah den Menschen kontrolliert durch die Texte der Massenmedien, die
seiner Meinung nach als sprachlicher Virus den Menschen infizieren und ihn auf
diese Weise konditionieren und manipulieren können. Burroughs glaubte nun, indem
er diese Texte buchstäblich zerschnitt und neu kombinierte, damit ein Mittel, genannt
Cut-up, gefunden zu haben, um diese Konditionierung und Manipulation zu
durchbrechen und aufzuheben.

Wenn wir auf unsere heutige Informationspraxis im Internet schauen, stoßen wir auf
ein interessantes Paradox. Einerseits können wir theoretisch über unzählige
Informationsquellen verfügen, andererseits versuchen digitale Informationsagenten,
die wir bewusst oder unbewusst nutzen, versuchen diese digitale
Informationsagenten uns bei unsrer Suche zu helfen, indem sie von unseren
früheren Suchanfragen lernen.

D.h. wir schränken durch unsere Nutzung und unsere Vorlieben, die grenzenlose Informationsressource Internet auf unsere Nutzung und unsere Vorlieben ein. Werden also quasi zum Konditioneur und Manipulateur der eigenen Weltsicht.

Kurz gesagt -sie alle sind sicherlich mehr als reif für ein umfassendes und befreiendes Cut-up. Am besten von Marc Lees Schlagzeilen. Und damit verordne ich Ihnen für die Dauer der Ausstellung eine 3-tägig zu wiederholende Dekonditionierung.

Abschließend sei zu dieser Arbeit bemerkt, dass sie sich auf die Fläche bezieht also zweidimensional ist.

Orte – die dritte und letzte Arbeit dieser Ausstellung zeigt 16 Orte der Welt in überblendeten Bildern von Webcams. Eine sehr schöne, meditative Arbeit, die eine wunderbare Metapher für das Zusammenrücken der Welt durch das Internet findet. Und so still die Arbeit daher kommt, ist gerade auch die Ruhe das akustische Merkmal dieser Arbeit. Die Stille ist quasi wie bei John Cage als Ton mitkomponiert. Das dritte tragende Moment von “Orte” ist die Zeiterfahrung. Wir sehen Bilder
überblendet aus dem Jahreszeitenlauf. Indem wir uns betrachtend auf diese Arbeit
einlassen, wird unsere Lebenszeit in die Naturzeit der Jahreszeitenfolge
eingeschrieben und wir kommen buchstäblich zur Ruhe im Globalen vor Ort.
Abschließend sei zu dieser Arbeit bemerkt, dass sie sich auf Raum und Zeit bezieht
also vierdimensional ist.

Mir bleibt an dieser Stelle nur noch eine letzte Dimension übrig: das
Eindimensionale: der Punkt.
Und damit Punkt.