Netzspiele

Von Mario Purkathofer

Marc Lee – netzwerkorientiert & interaktiv seit 1999

Marc Lee steht auf der kleinen schwarzen Bühne und bewegt eine leicht modifizierte Maus. Rund um ihn herum bewegt sich das akute Weltgeschehen in Bildern, Tönen und Momenten von Menschen produziert, in Szene gesetzt oder abgelegt. Marc Lee garantiert eine Welt in Echtzeit! Seine robotischen Suchmechanismen werden jetzt auf die Reise geschickt. Sie arbeiten schnell. Die Bar ist geöffnet und bald kann jeder das was Lee soeben noch demonstriert hat, selbst ausführen, während Alkohol in Strömen fliesst und die Stimmung steigt.

Situationsbeschreibung zur Eröffnung der Ausstellung Marc Lee: Breaking the News im Dock18 Zürich, 2007.

Flayer, in the middle of the space a PC interface terminal. Screen shows the letters: Breaking the News
Flyer Breaking the News – Be a News-Jockey Dock18 Zurich

Ich gebe auf den folgenden Seiten eine kurze Einführung in die Arbeiten von Marc Lee aus der Perspektive des Kurators und Benutzers. Dabei können die Werke sowohl in der Kunstwelt als auch in die Welt der Medien eingeordnet werden. Marc Lee’s Arbeiten sind multifunktionell, sie passen sich an den Hintergrund camouflageartig an.

Selbst (Plattformen vs. Identitäten)
Eine neue Generation von Künstlerinnen versucht dem klassischen Werk zusätzliche Nutzen und Bedeutungen hinzuzufügen (added values). Das Kunstwerk steht nicht mehr für sich alleine. Es ist eingebettet in einen komplexen Kontext aus Namen, Adressen und Bedeutungen. Diese gilt es permanent mitzuentwickeln und am Leben zu erhalten. Das Kunstwerk ist notwendigerweise immer auch sein eigener Kosmos mit Haltbarkeitsdauer.

Die Inszenierung der eigenen Identität und die Suche nach einer Antwort auf die Frage: „Wie will ich gesehen werden?“ ist die Grundlage jeder Auseinandersetzung mit kommunikativen Medien. Das Publikum wiederum fragt sehnsüchtig: „Wer ist Aurelia Fischli?“ Eine Kommunikation mit ungewissem Empfänger/Senderverhältnis ist nur begrenzt möglich bzw. führt zu sogenannter unerwünschter Kommunikation (Spam). Mit ungewissen Identitäten verkehrt man nicht gerne. Gewissheit in der Kommunikation ist sowohl technisch als auch sozial unumgänglich.

Ich weiss gar nicht genau wo Marc Lee geboren wurde. Teile seiner Wurzeln führen in irgendwelche Täler der Schweiz, andere wiederum nach Asien. Erst spät ist er mir aufgefallen zwischen Client -u. Serverschluchten in einem Zürcher Labor, wo er einige Jahre seiner technischen Entwicklung durchlaufen hat und sich selbst zum Schnittstellenspezialisten ausgebildet hat. Man sollte ja nicht zuviel wissen über die Maschinen, aber doch soviel um die Protokolle zu kontrollieren und dem Strom eine Richtung zu geben.

Dogmeat.org war eine derartige Firma, die aus dem fernen Korea agierte und von dort aus Hundefleisch in die Schweiz verkaufen sollte. Dieser Fall produzierte viel Aufmerksamkeit in den lokalen Medien und war der Presse 20 Sekunden Berichte wert. Als dann sogar noch der Schweizer Nationalhund – der Bernhardiner – unters Messer und in die Büchse kommen sollte, wogen die Wellen hoch und nur die FIFA selbst war imstande das Tohuwabohu zu beenden, indem sie Marc Lee der Verletzung des Urheberrechts bezichtigte. Ein FIFA Logo wurde unrechtmässig auf der Webseite verwendet und musste vom Webadministrator entfernt werden. Fazit: Hundefleischessen und fremde Logos verwenden ist ungefähr gleich asozial. Gegen Hundefleischverkäufer kann man jedoch nicht rechtlich vorgehen wie gegen Markenfälscher, Hunde.

Im Falle von Loogie.net wird ein unabhängiger TV Kanal inszeniert, der zu 100% durch den Benutzer gesteuert wird.

Und das Open News Network ist sogar ein ganzes Netzwerk, das zum Teil im Dunkeln und für den einzelnen Benutzer versteckt agiert. Der User soll immer öfter auf Informationen aus diesem Netzwerk stossen und so das Netzwerk spüren.

Diese erste Gestaltungsebene ist ständiger Bestandteil vieler Arbeiten der neuen Medien und Grundlage für die Realisierung von Fiktionen. Das Projekt muss einer Identität zuordenbar sein. An dieser Stelle darf verraten werden dass Marc Lee vielleicht ja selbst eine Erfindung sein könnte. Um den Leser an dieser Stelle nicht unnötigerweise zu verwirren nehmen wir mal an, dass Marc Lee tatsächlich existiert, vielleicht aber auch unter anderen Namen auftreten könnte. Imagepflege ist wichtig! Jede Marke braucht etwas Mundpropaganda.

Thema (News vs. Lebenswerk)
News und Neuigkeiten sind bei Marc Lee ein immer wiederkehrendes Thema. Beinahe alle Arbeiten handeln von der Welt der Neuigkeiten, der heissen Information, die in Windeseile über Leitungen und Kontinente verteilt und genauso schnell wieder vergessen wird. Eine Neuigkeit lebt vom Moment und in diesem Augenblick spielen die Tools und Installationen Marc Lee’s.

In diese Welt der heissen Informationen schaltet sich Marc Lee mit seinen Tools ein und bildet deren Funktionsweise entweder nach, leitet sie um oder generiert ganz neue Nachrichten, die dann wieder in reale bestehende Netzwerke eingefügt werden. Vielfach geht es darum diesen Moment der Newsproduktion festzuhalten und erfahrbar zu machen, indem der Rezipient Teil dieser Maschinerie wird und gleichzeitig der einzige Grund ist, warum die Maschine überhaupt funktioniert, warum Fernsehen sendet, warum überhaupt Geschichten erzählt werden. Am Ende der Informationskette bist immer du selbst allein mit dir!

Radiosendung News Kanal7, jeden Tag um 12 Uhr Mittags lief der News Bot für 15 Minuten und wurde über eine lokale Radiostation (kanal7.ch/Radio LoRa) ausgestrahlt

Marc Lee benutzt das Internet als Informationspool und unendliches Archiv von Formaten und Meinungen. O-N-N generiert neue News und verteilt sie ständig. Bei Loogie.net können individualisierte Newssendungen durch den Zuschauer abgerufen werden. Der erhält akkurat dann die akuten News, wenn er sie verlangt.

Interessanterweise arbeitet Marc Lee in seinem Brotberuf auch bei einer TV-Station und stellt dort das Bindeglied zu den Neuen Medien her. Er entwickelt Webseiten für das Schweizer Fernsehen. Man fragt sich ob alle Medien solche Programmierer beschäftigt haben und was würde passieren wenn diese alle plötzlich nur mehr Kunsträume schaffen würden? Wäre das, das tatsächliche Ende der alten Medien? Wieviel Potential steckt alleine in der Tatsache dass Künstler wie Marc Lee schon jetzt das Aussehen und den Hintergrund der meinungsmachenden Medien im Informationszeitalter gestalten?

Wurde Medienkunst der 90er Jahre noch mit Attributen wie „gegen den Strich bürsten“ versehen, sind wir heute an einem Punkt angelangt wo Medienkünstler längst im „doppelten Sinn der Bedeutung“ agieren. Sie legen einerseits den Grundstein für ein Funktionierendes Web und kritisieren dieses andererseits mit destabilisierenden Elementen. O-N-N ist nichts weiter als eine Disinformationsmaschine, deren einziger Zweck in der Machbarkeit von Bedeutungslosigkeit besteht die den automatischen Tod eines Mediums bedeutet. E-Mail wird dann obsolet wenn zuviel Spam darüber gesendet wird. Das WWW hat keine Bedeutung mehr, wenn nur mehr Falschinformationen verbreitet werden.

Die Spielregeln (Copyright vs. Copyleft)
Bei der Verwendung von vorhandenen Materialien spielen Urheberrechte eine wichtige Rolle. Die Diskussionen um Kulturflatrate und mögliche Einnahmequellen für Künstler dürften Marc Lee kalt lassen.

Copyrights beachte ich dabei nicht. Wenn ich Reklamationen kriege, versuche ich die möglichst effizient zu tilgen. Vielleicht ist es eine der grössten menschlichen Schwächen in diesem Jahrhundert, dass es möglich ist, Inhalte im WWW mittels Copyright zu schützen.

Öffentlich zugängliche Materialien müssen jederzeit genutzt werden dürfen.

Slogans, Schlachtrufe und Stichworte
Marc Lee spielt in seinen Arbeiten mit den Slogans und anderen Schlachtrufen der Neuen Medien. Sie begleiten den Betrachter durch alle Arbeiten von Marc Lee.

Der TV-Bot, online seit 2004, bringt dir die Neuesten Weltnachrichten ins traute Heim. Immer aktuell! Immer auf Sendung! Mehrsprachig! Interkulturell! Tune dich ins Weltgeschehen!
Die ultimativ neuesten Nachrichten auf dem definitiv aktuellsten Sender der Welt.

Bei Breaking the News wird man aufgefordert in die Rolle eines News Jockey zu schlüpfen: „Be a News-Jockey!“ Der Benutzer erfindet eine Schlagzeile und wählt den Fokus: eher kritisch, informativ oder unterhaltsam. Sofort startet eine verblüffende Präsentation die zum Spielen und Nachdenken anregt.

Soziale Software
Marc Lee entwickelt seit 1999 soziale Software, die jedoch nicht der menschlichen Kommunikation und der Zusammenarbeit dienen, sondern die Auswirkungen der permanenten Kommunikation zeigt. Das öffentliche Teilen von Daten hinterlässt Spuren.

Den Systemen ist gemein, dass sie dazu dienen, Gemeinschaften aufzubauen und zu pflegen, und zwar in aller Regel über das Internet.

Die Arbeit Loogie.net TV, auf Kanal seit 2003, ist ein interaktiver Fernseh News Kanal. Man tippt mittels spezieller Fernsehfernbedienung ein beliebiges Thema ein und kriegt seine massgeschneiderte News Sendung im Fernseher präsentiert. Loogie.net ist der erste und vermutlich immer noch der einzige wirklich interaktive Fernsehkanal welcher zu jedem erdenklichen Thema berichtet.

Bei Loogie.net wird schon 2004 eine Vision von digitalen Fernsehen vorweggenommen und realisiert, wie es in der Realität nach wie vor nicht umgesetzt ist.

Das dazu entstandene News Portal Loogie.net News, online seit 2004, macht zu selbstgewählten Thema in Sekundenschnelle eine massgeschneiderte News Online. Am besten man probiert es gleich aus: Surfe zu http://www.loogie.net gebe ins Suchfeld ein, was du immer schon wissen wolltest und klicke «go!». Ohne die Möglichkeit zu geben, tief Luft zu holen, ist zu deinem Themenschwerpunkt die News bereits auf dem Bildschirm präsentiert und zugleich archiviert, so dass die Suchmaschinen sie finden und indexieren. Und so für alle User auffindbar ist.

Das Projekt Dogmeat.org, 2002, machte sich lustig über die Fifa welche 2002 an der Fussballweltmeisterschaft das Hundefleischessen in Korea zu Verbieten versuchte. (Hm, etwas postkolonial fand ich) Eine professionell ausgefeilte Website pries 46 Hunderassen zur online Bestellung und Verzehr an. Der Hauptsitz in Korea wo die WM stattfand und eine Filiale in Zürich wo sich auch der Fifa Hauptsitz befindet.

Aus der Software NJ wurde Oamos http://www.oamos.com, erste Version 2008, abgeleitet. Als eine Art Brainstorming, kann man sich da zu selbstgewählten Stichworten inspirieren lassen. Dabei werden aus insgesamt 16 verschiedenen Suchmaschinen Bilder, Text, Töne und Videos collageartig zusammengemischt.

Mit der Arbeit Open News Network (O-N-N), erste Version 2005, versuchen wir das kreative und kommunikative Potenzial der Internet-User zu vernetzen, um die individuellen Meinungen jedes Einzelnen in der Medienlandschaft besser zu repräsentieren. Braucht es noch JournalistInnen im Zeitalter des Internets? Beim Open News Network O-N-N wird der Leser zum Autor.

Dogmeat.org zeigt exemplarisch, wie man mittels Internetprojekt ein sehr grosses, zahlreiches Publikum ansprechen kann. Was nicht einfach ist aufgrund der Millionen von existierenden Websites.

Die Zuschauer (Publikum vs. Benutzer)
Das Publikum der Medienkunst hat sich in den letzten Jahren entscheidend geändert. Die Anforderungen an das Publikum sind gestiegen. Wer ist das Publikum der Arbeiten von Marc Lee? Wie sieht die Öffentlichkeit aus, die Lee’s Arbeiten rezipiert? Wo machen sie das unter welchen Umständen? Marc Lee schafft es trotzdem immer noch die vom Aussterben bedrohten blossen Betrachter nach zu vor zu bedienen. Auf der anderen Seite haben wir Menge Hits verursachende User und aktive Teilnehmer. Zudem werden durch die Anwendungen Marc Lee’s ganz neue Berufsfelder erfunden.

Breaking The News – Be a News-Jockey, erste Version 2007, ist Medienkritik poor. Wie der DJ mit Musik und der VJ mit Visuals jonglieret. Der Redakteur als News-Jongleur und DJ ist eine Überspitzung der vielgestellten Frage ob es Journalisten heute noch benötigt. Der News Jockey legt News aus dem Netz auf den Bildschirm. Dieser Rollenwechsel sagt alles aus über die heutigen Medien. Der Benutzer erfindet eine Schlagzeile. Der Journalist ist tot.

Marc Lee’s Publikum bisher war vor allem einschlägig vorbelastetes Kunstpublikum. Was aber passiert wenn unbedarfte User die Maschinen von Marc Lee in die Hände bekommen? Was werden sie anrichten? Was passiert wenn jeder seine News frei im Internet publizieren kann? Kann das nicht schon jeder? Mittlerweile ja. Marc Lee war einer der ersten, die versucht haben massentaugliche Software zu generieren, die es jedem ermöglichen sollten seine eigenen News frei und unabhängig zu verbreiten.

Das Spielfeld (Medienkunst vs. Medien)
Marc Lee hat an bedeutenden Medienkunstausstellungen ausgestellt wie: ZKM Karlsruhe, Media Art Biennale Seoul, Contemporary Art Biennale Sevilla, New Museum New York, Transmediale Berlin, Ars Electronica Linz, CeC Dehli, Read_Me Festival Moskau, Tweakfest Zürich und ICC Tokyo

Auf der anderen Seite sind alle Arbeiten im Internet verfügbar und handeln in den öffentlichen Breitbandnetzen. Je mehr Materialien zur Verfügung stehen, desto mehr Möglichkeiten entstehen und desto mehr Spass bereitet es. Und das Internet wächst stündlich. Marc Lee versucht in diesen Netzwerken Freiräume zu entdecken und mit eigenen Anwendungen zu bestücken. Diese sollen kritisch-orientierte Alternativen schaffen. Nicht zuletzt auch um das Feld nicht ganz den Global Playern zu überlassen.

Der aufgeklärte Medienbenutzer wünscht sich Marc Lee’s Werke für Mobiltelefone und fragt sich, warum TV Sender sich nicht alle 5 Antennen schlecken, wenn sie die Software von Marc Lee in ihren Nachtsendungen per SMS Schnittstelle einsetzen können. Vielleicht verschonen sie uns dafür vielleicht endlich einmal mit Softpornos und Glücksspielen? Woran scheitern diese Verbindungen der Medienkunst mit den Medien? Unkontrollierbare Zustände ist das eine. Zensur das andere. Man kann die Tools von Marc Lee nur schlecht zensurieren und deswegen werden viele Unternehmen sich davor in Acht nehmen ein derartig subversives Medium bei sich selbst zu installieren. Es wäre ja beinahe ein Trojaner, der durch geschickte Bespielung durch die User zu einem Boomerang werden könnte.

Wir wollen mehr von diesen Unsinn stiftenden Geräten mit denen wir unter Umständen uns selbst erkennen können.